Ein starker Sozialstaat ist kein Luxus

Saskia Esken lud zum digitalen Austausch mit den Wohlfahrtsverbänden von Land und Kreis. Als Expertin der SPD-Bundestagsfraktion stand die Abgeordnete Dagmar Schmidt Rede und Antwort.

„Ein starker Sozialstaat ist kein Luxus, sondern die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Zusammenhalt“, betonte SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken zu Beginn einer digitalen Diskussionsrunde mit Vertreterinnen und Vertretern der freien Wohlfahrtspflege aus Baden-Württemberg und Hessen. Gemeinsam mit der hessischen Bundestagsabgeordneten Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für Arbeit, Soziales & Gesundheit, sprach sie über die drängendsten Herausforderungen der sozialen Daseinsvorsorge – von der Pflegekrise über die prekäre Finanzierung sozialer Träger bis hin zur zunehmenden Spaltung der Gesellschaft.

Esken machte deutlich, dass der Sozialstaat nicht nur finanziell unter Druck steht, sondern auch zunehmend politisch infrage gestellt wird. Sie verwies auf Entwicklungen in Österreich, wo eine konservative Partei lieber eine Koalition mit Rechtsextremen eingegangen sei, als sozialpolitische Kompromisse mit progressiven Kräften zu schließen.
„Eine starke Gesellschaft braucht einen starken Sozialstaat. Wer ihn systematisch schwächt, riskiert soziale Spaltung und gefährdet unsere Demokratie“, warnte Esken.
Auch ihre Abgeordnetenkollegin Schmidt unterstrich die Bedeutung sozialer Sicherheit und betonte den akuten Handlungsbedarf: „Soziale Sicherheit braucht Verlässlichkeit – für die Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind und für die Träger, die diese Leistungen organisieren. Wenn Sozialverbände und Kommunen immer wieder aufs Neue um ihre Finanzierung bangen müssen, gefährdet das langfristig unser gesellschaftliches Fundament.“


Aus der Praxis berichteten Vertreterinnen und Vertreter der Wohlfahrtsverbände über die existenzielle Unsicherheit, mit der soziale Träger konfrontiert sind.

Dr. Marco Lang, stellvertretender Vorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg und Geschäftsführer der AWO Württemberg, machte die prekäre Lage deutlich: „Die Wohlfahrtspflege ist kein nachrangiges System, sondern eine tragende Säule der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir sind Teil einer Verantwortungsgemeinschaft mit Bund, Ländern und Kommunen. Doch während die Anforderungen an unsere Arbeit wachsen, wird unsere Finanzierung immer unsicherer. Es kann nicht sein, dass soziale Träger jedes Jahr aufs Neue darum kämpfen müssen, ihre Arbeit fortsetzen zu können. Wir laden ein, die soziale Daseinsvorsorge gemeinsam zukunftsfest zu machen – als Basis einer stabilen, krisenfesten Gesellschaft.“


Die Krise in der Pflege rückte Dr. Kornelius Knapp vom Diakonischen Werk Württemberg in den Mittelpunkt. Die bisherigen Modelle seien nicht mehr tragfähig. „Wir können nicht einfach mehr Heime bauen oder mehr Personal einstellen, weil weder die Mittel noch die Fachkräfte da sind“, stellte er klar. Die Reform der Pflege müsse weit über finanzielle Anpassungen hinausgehen. „Wir müssen Pflege neu denken – mit mehr ambulanten Angeboten, besseren Arbeitsbedingungen und einer effizienteren Verknüpfung der Hilfesysteme. Doch dafür brauchen wir politische Entscheidungen, die langfristig tragfähig sind.“


Andreas Reichstein von der Erlacher Höhe in Calw kritisierte besonders die Einsparungen in der Wohnungslosenhilfe und der psychosozialen Unterstützung:
„Die Menschen, die wir betreuen, sind oft mehrfach belastet: durch Armut, Krankheit oder Diskriminierung. In vielen Landkreisen gibt es kaum noch Spielraum für soziale Investitionen. Mietobergrenzen werden nicht angepasst, Sozialleistungen gekürzt – und das alles auf dem Rücken derjenigen, die ohnehin am wenigsten haben. Das untergräbt das Vertrauen in unseren Rechts- und Sozialstaat und spielt denen in die Hände, die unser demokratisches System infrage stellen. Wer dort die Axt anlegt, legt die Axt an die Demokratie.“


Die Politikerin Schmidt machte deutlich, dass die SPD sich gegen eine Politik stellt, die versucht, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen:
„Dieses perfide Spiel, Bürgergeldempfänger gegen Geringverdienende oder Geflüchtete gegen Einheimische auszuspielen, ist nicht nur zynisch – es gefährdet den gesellschaftlichen Frieden. Unsere Antwort ist eine Politik des ‚Sowohl-als-auch‘, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz formuliert hat: Sowohl soziale Sicherheit für alle als auch wirtschaftliche Stabilität und Wachstum. Diese Dinge schließen sich nicht aus – im Gegenteil.“


Dass der Sozialstaat unter Olaf Scholz auch weiterhin nicht zu einer Verhandlungsmasse für Haushaltslöcher werde, betonte auch die Calwer Bundestagsabgeordnete Esken: „Es war Scholz, der sich gegen Versuche gewehrt hat, Rentenkürzungen oder Mittelkürzungen für Kommunen durchzusetzen. Und es war Scholz, der trotz aller Krisen mehr Mittel für Städte und Gemeinden bereitgestellt hat als jeder Kanzler vor ihm. Denn er weiß: Ein starker Sozialstaat ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern die Basis für eine funktionierende Wirtschaft und eine stabile Gesellschaft.“


Die Beteiligten waren sich einig, dass die soziale Daseinsvorsorge nicht nur finanziell stabilisiert, sondern auch modernisiert werden muss. Schmidt kündigte konkrete Reformvorschläge an: „Es kann nicht sein, dass Menschen durch einen Dschungel aus Anträgen und Zuständigkeiten navigieren müssen, um die Unterstützung zu bekommen, die ihnen zusteht. Unser Sozialstaat muss effizienter, digitaler und zugänglicher werden – für alle.“


Der Dialog mit allen relevanten Akteuren – Bund, Länder, Kommunen und Wohlfahrtsverbände – soll nach der Bundestagswahl in einer Präsenzveranstaltung fortgesetzt werden.

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