Aufräumen mit Klischees

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken zeigte sich beim Besuch der Talheimer Firma Ott Gebäudereinigung beeindruckt von der Arbeit eines der größten Unternehmen in Horb. Einige Branchen-Vorurteile wurden aus dem Weg geräumt.

Horb-Talheim. Reinigungskräfte: Sie müssen oft als Beispiel für prekäre Arbeit herhalten, wenig beachtet, schlecht bezahlt und ungelernt. Nichts davon ist wahr, das hat der Besuch von Saskia Esken bei der Firma Ott in Talheim eindrücklich gezeigt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete wollte sich vor Ort ein Bild machen, nachdem mehrere Beschäftige Esken angeschrieben hatten, um ihre Forderungen nach einer höheren Minijob-Grenze laut zu machen.

 Empfangen wurde Esken, die mit SPD-Kreischefin Viviana Weschenmoser angereist war, von Tanja Gebhard, der kaufmännischen Leiterin, ihrem Bruder, dem Firmenchef Thomas Ott, und einigen Beschäftigten, die Esken ihre jeweilige Lebenssituation schilderten. Zuerst räumte Gebhard jedoch mit einigen gängigen Klischees auf. Vor allem störe sie, dass die Gebäudereiniger oft herhalten müssten, wenn es um das Thema Mindestlohn gehe. "Das ist nicht fair, wir zahlen durch unseren Tarifvertrag schon seit Langem weit über dem gesetzlichen Mindestlohn", erklärte die kaufmännische Leiterin. Der Mindestlohn liege nach ihrer Auffassung sogar noch zu niedrig. In dem Punkt konnte Esken nur zustimmen - die SPD plädiert in ihrem Europa-Wahlprogramm für einen Mindestlohn, der in Deutschland bei 12 Euro liegen würde. "Alles andere ist nicht armutsfest", machte die SPD-Bundestagsabgeordnete deutlich. Gebhard erklärte weiter, bei Ott werde selbstverständlich sorgfältig darauf geachtet, dass auch alle anderen gesetzlich garantierten Rechte der Minijobber eingehalten werden. Oft genug seien Arbeitnehmer wie Arbeitgeber insbesondere im privaten Bereich sich über diese Rechte nicht im Klaren, machte Esken deutlich: "Auch Minijobber haben Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub, und im Rahmen von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen auch auf Sonderleistungen wie Urlaubsgeld."

Tatsächlich arbeiten knapp 300 der 460 Beschäftigten bei Ott in Minijobs. Ursprünglich wurden diese eingeführt, damit Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sich aushilfsweise etwas dazuverdienen können wie etwa ein zusätzliches Urlaubsbudget. Mittlerweile sind laut Gebhard aber nicht wenige der Beschäftigten regelmäßig auf einen Zuverdienst angewiesen, weil ihr Einkommen aus dem Hauptberuf nicht ausreicht, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. "Das ist inakzeptabel", betonte Esken, zeige aber deutlich, wie wichtig eine Erhöhung des Mindestlohns sei und die Stärkung der Tarifbindung. Auch im Einzelhandel und in der Gastronomie müsse man endlich auf die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen drängen, wie sie im Gebäudereinigungsgewerbe erreicht worden sei. "Von einer Vollzeitbeschäftigung muss man leben können, und die Rentenbeiträge müssen auch eine auskömmliche Rente abwerfen - da brauchen wir zumindest 12,66 Euro Stundenlohn", so Esken weiter.

Die Allgemeinverbindlichkeit begrüßt das Horber Unternehmen durchaus, ebenso wie die tariflichen Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre. "Gute Arbeitsbedingungen und eine ordentliche Bezahlung sind für uns das A und O, anders bekommen wir ja gar keine Mitarbeiter mehr", machte Inhaber Ott deutlich. Allerdings bringen die Tariferhöhungen laut Gebhard auch Herausforderungen für das Unternehmen und die Mitarbeiter im Minijob. Durch die 450-Euro-Grenze werden Beschäftigte im Minijob mit jeder Tarifsteigerung gezwungen, weniger zu arbeiten. Und einen Übergang in die Gleitzone des sogenannten Midijobs lehnen die meisten Mitarbeiter ab, weil dann keine Pauschalbesteuerung mehr möglich ist. "Das bestechende am Minijob ist der Brutto-für-Netto-Verdienst, und eine Mehrarbeit im Midijob lohnt sich für die meisten erst, wenn sie sehr viel mehr arbeiten, vor allem in der sehr ungünstigen Steuerklasse V", erklärte Gebhard.

Das Dilemma liegt für Otts Unternehmen aber nicht nur in der Attraktivität des Minijobs, sondern auch in der Flexibilität der geringen Teilzeit. Gerade die Randzeiten, in denen die Zusatzverdiener arbeiten können, seien im Reinigungsgewerbe gefragt, denn gereinigt wird spätabends, frühmorgens, und am Wochenende, wenn die Büros leer sind. Und weil die Auftragsbücher gut gefüllt sind, braucht das Unternehmen eher eine Ausweitung der Arbeitszeit der Mitarbeiter als eine Reduzierung. Esken wiederum verwies auf das Dilemma von Zuverdienstbedarfen und Arbeitszeitschutz. "Unzumutbar" ist es ihrer Auffassung nach, dass Menschen neben einer 40-Stunden-Woche, die oft genug schon überzogen würde, morgens oder abends noch einen Minijob dranhängen oder mehr. "Da bleibt zu wenig Leben übrig, und Familie oder Freunde haben auch keinen Raum mehr", gab die Abgeordnete zu bedenken.

Langfristig sprach sich die Bundestagsabgeordnete deshalb dafür aus, die 450-Euro-Grenze ganz abzuschaffen und stattdessen eine Lösung zu entwickeln, die für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab dem ersten Euro Verdienst faire Möglichkeiten zu flexibler Beschäftigung bietet. Um die Problematik mit ihren Fachkollegen und -kolleginnen im Bundestag am konkreten Beispiel diskutieren zu können, bat Esken um einige "durchgerechnete Fallbeispiele, wie Mehrarbeit sich auswirken würde - selbstverständlich anonymisiert". Gebhard und Ott zeigten sich erfreut am Interessen und der Dialogbereitschaft der Abgeordneten - "wir haben sonst nicht viel konkrete Antworten bekommen" - und sagten gerne zu, die gewünschten Informationen zu liefern.

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