Corona und die Folgen für Menschen mit Behinderung

NAGOLD Während ihrer Sommertour besucht Saskia Esken verschiedene Institutionen im Wahlkreis, um sich über die Situation vor Ort zu informieren und von verschiedenster Seite zu erfahren, wie Corona das Leben der Menschen verändert hat. Besonders durch Corona-bedingte Schließungen betroffen sind Einrichtungen wie die Lebenshilfe Nagold e.V., die mit Angeboten der Tagesbetreuung, aber auch mit Freizeitangeboten Menschen mit Behinderung und deren Familien begleiten und entlasten.

„Für Familien, für Kinder und Jugendliche bringt Corona vielfältige Belastungen mit sich. Gerade die Kontaktbeschränkungen sind für Kinder und Jugendliche besonders schwer auszuhalten. Insofern kann ich mir gut vorstellen, dass Familien von Menschen mit Behinderung eine besonders schwere Zeit hatten und haben“, so die Bundestagsabgeordnete Esken zu Beginn des Besuches in der Nagolder Tagespflegeeinrichtung. Sigrid Baranek, Leiterin der Geschäftsstelle in Nagold, konnte das nur bestätigen: „Wir haben zwar Einzelbetreuung bei den Familien zu Hause angeboten, durften aber von Mitte März bis Ende Juni weder Freizeiten noch Gruppenangebote machen.“ Und auch das Ehrenamt habe unter Corona gelitten. Allgemein ist die Arbeit in einem Verein, der auf ehrenamtliche Mithilfe angewiesen ist, in den letzten Jahren schwieriger geworden. „Wir kämpfen um jedes Mitglied, das bereit ist mitzuhelfen.“, so die stellvertretende Vorstandssprecherin und Vorstand für Haus, Technik und Fuhrpark, Konstanze Schmidt.

„Nicht über uns ohne uns“ – das ist ein wichtiges Motto der Behindertenrechtsbewegung. Insofern war es wichtig, dass mit Jimmy Liebermann und Silke Krespach auch Menschen mit Behinderung in der Gesprächsrunde vertreten waren, die der Abgeordneten ihre Situation schildern konnten. „Wir kommen nicht mehr nach draußen, sitzen die ganze Zeit im Haus. Das ist sehr schwierig für viele von uns, vor allem für Alleinstehende“, erzählte Silke Krespach, die zudem Mitglied im „Handicap Beirat mit Pfiff“ ist. Jimmy Liebermann, der eine Buch über sein Leben als Mensch mit Behinderung geschrieben hat, nimmt bei vielen Menschen eine neue Ruppigkeit wahr: „Beim Einkaufen drängeln sich die Leute jetzt immer so vor.“

Daniel Geese, Pfarrer von Vollmaringen, der das Gespräch vom SPD-Ortsverein Nagold begleitete, sieht große Unterschiede bei den psychischen Auswirkungen von Corona: „Ich habe in vielen Gesprächen festgestellt, dass Menschen, je älter sie sind, umso gelassener auf die veränderte Situation reagieren. Jüngere sind deutlich nervöser was Zukunftsängste und das Leben mit und nach Corona angeht.“

Auch die Inklusion in der Bildung ist ein Thema, das die Lebenshilfe stark beschäftigt, wie Sigrid Baranek zu berichten wusste: „Wir begleiten derzeit vier Schüler*innen mit Behinderung in einer Regelschule, aber das sind alles Einzelfallintegrationen.“ Daniel Geese kritisierte beim Thema die Stadtverwaltung: „Die Stadt Nagold ruht sich auf ihrer Zellerschule aus, hier passiert zu wenig. Das Gymnasium wäre gegenüber, hier sollte man auch Inklusionsprojekte anstoßen“, so der Gemeinderat zum Abschluss des Gesprächs.

Auch die Bundestagsabgeordnete und SPD-Parteivorsitzende Esken wünscht sich mehr Mut zur Inklusion: „Das gemeinsame Leben und Lernen in aller Verschiedenheit ist ein Gewinn für alle – wir müssen aber auch bereit sein, die Bedingungen dafür zu schaffen. Jede Einzelfallintegration ist wertvoll, aber sie ist eine große Kraftanstrengung für alle Beteiligten, weil das System als Ganzes gar nicht auf Inklusion eingestellt ist. Dann darf die Stützkraft aber nicht nur dafür da sein, beispielsweise beim Toilettengang zu helfen, sonst ist das eine krasse Überforderung für alle, vor allem für die Lehrkräfte. Auch hier fehlt es aber an Fachkräften. Da muss in die Ausbildung investiert werden.“

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