Nie wieder Krieg! - Zum Holocaust-Gedenktag und der Ausstellung im Bundestag zur NS-Zwangsarbeit

„Der Winter von 1944/45 war der kälteste Winter meines Lebens und blieb sicher unvergesslich für alle, die ihn damals in Europa erlebten“, so begann die Autorin Ruth Klüger gestern ihre Ansprache vor dem deutschen Parlament.

Anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar hat die Holocaust-Überlebende in einer ergreifenden Rede über ihre Erlebnisse im Nationalsozialismus gesprochen. Ruth Klüger war zwölf Jahre alt, als sie, ihre Pflegeschwester Susi, ihre Mutter sowie die Millionen von Opfern der Nazi-Diktatur dieser Kälte hilflos ausgesetzt waren. Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und das Arbeitslager Christianstadt waren unvorstellbare Stationen im Leben des jungen Mädchens. Ihr Leben als minderjährige Zwangsarbeiterin, ein Kind, das eigentlich auf die Schulbank gehörte, verfolgt Ruth Klüger noch heute:

„Wir wurden morgens durch eine Sirene oder Pfeife geweckt und standen im Dunkel Appell. Stehen, einfach stehen, ist mir noch heute so widerlich, dass ich manchmal aus einer Schlange ausscheide und weggehe, wenn ich schon fast dran bin, einfach weil ich keinen Augenblick länger in einer Reihe bleiben möchte. […] Genau gesehen ist Zwangsarbeit insofern schlimmer als Sklavenarbeit, weil der leibeigene Sklave einen Geldwert für seinen Besitzer hat, den dieser verliert, wenn er den Sklaven verhungern oder erfrieren lässt. Die Zwangsarbeiter der Nazis waren wertlos, die Ausbeuter konnten sich immer noch neue verschaffen. Sie hatten ja so viel ‚Menschenmaterial‘, wie sie es nannten, dass sie es wortwörtlich verbrennen konnten.“

Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren es mehr als 13 Millionen Männer, Frauen und Kinder, die im Deutschen Reich Zwangsarbeit leisten mussten. Die Zwangsarbeiter gelten als größte Opfergruppe des NS-Systems. Während die Zwangsarbeit in größeren Städten weitgehend erforscht ist, hat das Schicksal der Deportierten in den ländlichen Regionen Deutschlands bis heute nur wenig Beachtung gefunden. Eine Ausstellung der Projektgruppe „Zwangsarbeit“ e.V. ändert dies nun: Im Beisein von Ruth Klüger hat Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert die Ausstellung „NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum. Ausstellungsprojekte gegen das Vergessen“ im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages eröffnet.

Die Ausstellung kann vom 28.01. bis zum 26.02. nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden. Weitere Informationen gibt es hier:
http://www.bundestag.de/besuche/ausstellungen1/parl_hist/zwangsarbeit-inhalt/401028

Ruth Klüger schloss ihre beeindruckende Rede, die zu hören ich nur ans Herz legen kann, mit folgenden Worten:

„Verehrtes Publikum, ich habe jetzt eine ganze Weile über Versklavung als Zwangsarbeit in Nazi-Europa gesprochen und Beispiele aus dem Verdrängungsprozess nach 1945 zitiert. Aber eine neue Generation ist seither hier aufgewachsen, und dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie Flüchtlinge aufgenommen haben. Ich bin eine von den vielen Außenstehenden, die von Verwunderung zu Bewunderung übergegangen sind. Das war der Hauptgrund, warum ich die Gelegenheit wahrgenommen habe, in Ihrer Hauptstadt über die früheren Untaten sprechen zu dürfen, hier, wo ein gegensätzliches Vorbild entstanden ist und trotz Hindernissen, Ärgernissen und Aggressionen noch weiter entsteht, mit dem schlichten und heroischen Slogan: Wir schaffen das."

Das Video zur Rede von Ruth Klüger ist hier abrufbar:
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw04-gedenkstunde-nachher/403424

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