Kolumne Neckarchronik: Gift und Gegengift

Am 06.02.2020 wurde der Kolumnen-Beitrag "Gift und Gegengift" von Saskia Esken in der Neckar-Chronik Horb veröffentlicht:

Ralf Lotys (Sicherlich), 2020-01 - Karamba Diaby (01), CC BY 4.0

Im Januar wurden Einschusslöcher in den Bürofenstern meines Bundestagskollegen Karamba Diaby in Halle entdeckt. Kaum eine Woche später erhielt er per E-Mail eine Morddrohung. Ich war und bin geschockt, zu welchen Mitteln feige Kriminelle greifen. Ich habe mich wie viele andere solidarisch erklärt: Wir stehen an Deiner Seite, und wir weichen nicht!

Abgeordnete, Bürgermeister und Gemeinderäte, Mitarbeiter der Verwaltung, der Polizei, der Feuerwehren – immer häufiger werden sie Opfer verbaler oder gar physischer Gewalt. Der Kerpener Bürgermeister Dieter Spürck verzichtet wegen Drohbriefen, die sich auch gegen seine Familie richten, auf eine erneute Kandidatur. Martina Angermann, ehemals Bürgermeisterin in Sachsen, litt jahrelang unter rechtextremem Mobbing. Die Vorsitzende der SPD im Kreis Freudenstadt, Viviana Weschenmoser, fand im vergangenen Jahr Patronenkugeln in ihrem Briefkasten. Mir drohte man vorbeizukommen, ich solle schon mal meine Herzmedikamente nehmen. Man schrieb mir, ich würde „an der Laterne baumeln, dafür wird der Mob sorgen“. Mehr als 1.200 zur Anzeige gebrachte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger im Jahr 2019. Erschütternder Tiefpunkt war der Mord an Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten, der sich in den 1990ern als Leiter eines Jugendzentrums mit rechtsextremen Strukturen angelegt hatte.

Die Gewalt fängt aber viel früher an. Im „Meinungsstreit“ macht sich eine gewalttätige Sprache breit. Online und offline. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich in unserer Gesellschaft ein Klima aus Hass und Angst breit macht, nicht als Gesellschaft und nicht als Rechtsstaat. Polizei und Staatsschutz müssen noch besser aufgestellt werden, Anlaufstellen für bedrohte Menschen geschaffen werden.

Angst ist ein schleichendes Gift. Das Gegengift ist vorhanden: Menschlichkeit, Liebe und Solidarität sowie Recht und Vertrauen. Mein Respekt und mein größter Dank gilt allen Menschen, die sich unaufhörlich für den sozialen Frieden und die Integration in Deutschland einsetzen.

Eine jede und ein jeder muss aufstehen, wenn Unrecht geschieht, muss laut werden, muss Hilfe holen und sich solidarisch zeigen. Karamba Diaby hat genau das erleben dürfen. Er sagte in seiner ersten Bundestagsrede nach den Schüssen auf sein Büro: „Wir leben nicht in einem Zeitalter des Zorns, sondern der Solidarität und des Mitgefühls.“

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