Ihr seid zu unpolitisch. Ihr steht ja für nichts mehr auf. Ihr kümmert Euch ja nur um Eure eigenen Angelegenheiten. Das sind bis vor kurzem die üblichen Vorurteile und Vorwürfe, die sich die junge Generation anhören musste. Jetzt, wo sie aufstehen, wo sie sich mit dem Klimawandel als einer der größten Bedrohungen unserer Zukunft beschäftigen und die Politik herausfordern - da müssen sich die "Schulschwänzer" der #fridaysforfuture-Demonstrationen sagen lassen, sie sollten sich doch lieber um ihre Bildung kümmern und allenfalls in ihrer Freizeit demonstrieren.
Es grummelt bei mir in der Magengrube, wenn ich sowas höre. Wenn Christian Lindner sagt, die Schüler sollten so komplexe Themen lieber "den Profis überlassen". Das ist schon ziemlich arrogant, aber die wahren Profis haben sich recht schnell gemeldet. In kurzer Zeit wurde die Petition von den "Scientists for Future" 12000 Mal unterschrieben. Darunter waren hunderte Experten und Wissenschaftler, die sich auf die Seite der Schüler stellten.
Noch so ein untauglicher Vorschlag: Die Schüler sollen doch lieber einmal im Jahr einen Projekttag machen. Da gehen tausende junge Menschen einmal in der Woche auf die Straße, weil sie wollen, dass die Politik sich endlich konsequent um die Reduzierung der Klimagase kümmert - und die FDP will sie mit einem Projekttag abspeisen? I don't think so. Ich bin ein großer Fan des Projektlernens, keine Frage, aber zum einen muss es problemlöseorientiert sein. Zum anderen muss es genügend Raum bekommen, und das bedeutet nicht ein Tag pro Jahr, sondern ein Tag pro Woche. Warum nicht freitags? Projekte, die die Schüler frei vom Fächerkanon mit Lehrkräften und externen Impulsgebern selbst gestalten, Wahlpflicht, alle sechs Wochen ein neues Thema. Warum nicht?
Manche Kollegen reagieren lieber mit erhobenem Zeigefinger. Beispiel Altmaier: "Wenn sie später als Erwachsene die Welt verändern wollen, und das hoffen wir ja alle, dann ist eine gute Ausbildung wichtig". Das Ding ist: Die Schüler wollen, dass jetzt etwas passiert, sie wissen, dass jetzt mehr passieren muss.
Ich fühle mich an die Zeit erinnert, als ich und meine Altersklasse in jungen Jahren auf die Straße gegangen sind, als wir gegen Atomkraft und gegen alte und neue Nazis demonstrierten, als wir laut wurden für den Frieden.
Diese Bewegungen haben unser Land verändert. Den #fridaysforfuture geht es um die Gesundheit unseres Planeten. Natürlich haben nicht nur die jungen Menschen da draußen erkannt, dass wir keinen Planet B haben. Ich kann aber jeden sehr gut verstehen, dem die Bemühungen der Politik hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft, ohne Verwendung von fossilen Brennstoffen, ohne Überfischung, ohne Ausbeutung von Bodenschätzen, ohne Vermüllung einfach zu langsam gehen. Dass ihnen dabei ein kalter Wind von Seiten mancher Politiker ins Gesicht weht, sollte für sie ein Zeichen sein: Ihr seid auf dem richtigen Weg. Seid laut, seid unbequem. Wir werden euch zuhören müssen, denn ohne Euch gibt es keine Zukunft.
23.03.2019
Kommentare
Kommentar von Ehemalige |
... das hätte ich gerne als SPD Programm vor der Europawahl gelesen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Kommentar von P. R. |
BRAVO! Das beste Grundsatzprogramm, das die SPD sich verordnen kann!
P.R.
Kommentar von Thorsten Haase |
In so eine SPD würde ich auch eintreten und mitarbeiten. Doch der Worte sind genug gewechselt. Macht es endlich!
Kommentar von Martina Grossmann |
Die Beantwortung der sozialen Fragen wie Du sie hier ansprichst, ist ein Themenkomplex, dem sich die SPD aufgrund ihres Namens sicher immer zuerst verpflichtet fühlt. Soweit hier bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders betroffen sind, ist deren Anteil an der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren aber eher gesunken. Unsere Kinder - insbesondere die gut ausgebildeten - sehen aber ihre Zukunft auch aufgrund anderer Probleme stark gefährdet. Klimawandel, industrielle Landwirtschaft mit ihren Folgen und auch ethischen Fragestellungen treiben sie zuvorderst um. Die SPD war lange auch breit im "bürgerlichen" Lager aufgestellt, nun verliert sie bei den ökologischen Fragen an die Grünen bzw. bei denen, die sich zu möglichen Verlierern zählen, an die AfD. Für die Themen aus dem Bereich Digitalisierung ist die Jugend zuerst sensibilisiert, soweit es um Einschränkungen bei der Nutzung geht. Hinsichtlich Datenschutz und Cyberkriminalität ist m.E. eher noch einiges an Aufklärungsarbeit bzw Verbraucherschutzstärkung notwendig. Viel Erfolg bei der Verfolgung Deiner Themen !
Kommentar von Lothar Knäpper |
Moin aus dem hohen Norden, bei der Recherche über den Rücktritt von Andrea Nahles bin ich auf ihr Statement gestoßen.
Ich wünsche ihnen viele standhafte und kompetente Mitstreiter, die nicht nur Polit-Sprech können und auf die Lobbyisten schielen, sondern geradeaus auf das Ziel: Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Politik und die Politiker wieder herstellen. Die sind bei mir damals mit dem Satz "ich gebe ihnen mein Ehrenwort . . ." gestorben. Ich grüße sie als Alt-68er, der den Marsch durch die Institutionen 2006 aufgegeben hat. Mir freundlichen Grüßen und vielen guten Wünschen nicht nur für die politische Arbeit. Yours sincerely Lothar Knäpper
Kommentar von Waelsch |
Sehr geehrte Frau Esken,
ich bin in die SPD nach dem Wahldebakel der SPD in BW eingetreten, weil ich, wie nach wie vor meine, die SPD braucht Mitglieder. Nur ist es in der SPD trotz dem forschritsmäßigen genossenhaften Duzen schwierig, irgendwelche Inhalte anzubringen. Die Führungen der SPD sitzen auf ihren jeweiligen Ebenen auf einem arroganten Thron und sind an Inhalten und neuen Strategien nicht interessiert. Das habe ich selbst erfahren. Auf meinen eindringlichen Brief Ende letzten Jahres an den Bundesvorstand der SPD hab ich nicht einmal eine Eingangsbestätigung von irgendeinem Praktikanten erhalten, geschweige denn von einem Vorstandsmitglied. Dabei beschäftigte sich mein Brief gerade mit den Problemen, welche die SPD ignoriert, noch schlimmer, seit Schröder verursacht. Seit 15 Jahren fällt uns das auf die Füße und ist schwer zu tragen. Eine unverbrauchte Führungsriege wäre der Anfang einer Erneuerung der SPD. Diese unverbrauchte Führungsriege gibt es, nur es will sie keiner sehen oder besser gesagt wahrhaben, weil es eine sozio-ökologische Neuausrichtung der SPD in der 150-jährigen Tradition der SPD bedeuten würde. Es würde auch bedeuten, dass vorrauseilende Kompromissbereitschaft am Ende wäre und Platz für zukunftsorientierte soziale Gerechtigkeit des 21. Jahrhundert Platz machen müsste. Natürlich sind die Kumpel und Stahlkocher nicht mehr eine tragende Klasse der SPD. Deren Arbeit ist im technologischen und globalisierten Wettbewerb untergegangen. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht die gleiche soziale Ungerechtigkeit nicht weiterhin gäbe. Sich auf die junge Generation auszureden, wie es jetzt nach der EU-Wahl modern und bequem geworden ist ist kein Ausweg. Die Jungen müssen mit in die politische Diskussion, genauso wie alle anderen, Alte, Mittelalte, Reiche und Arme usw. Es gibt genug an Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die alle verbindet. Die Problematik ist so brisant, dass die SPD, ob sie es will oder nicht will, eine Volkspratei geblieben ist. Das, was der Wähler der SPD mit seiner Stimmenflucht übel nimmt ist, dass die SPD es aufgegeben hat, eine Volkspartei sein zu wollen.
Es ist nachwie vor so, dass der entgrenzte Finanzkapitalismus, der Verluste durch den Steuerzahler sozialisiert und Gewinne privatisiert, mit Steuervergehen den Staat an der Nase herumführt und nicht davor zurückschreckt, mit kriminellen Taten und Korruption an noch mehr Geld der Bürger zu kommen. Damit werden dem Staat an die 200 Milliarden Euro geklaut und keiner, vor allem die SPD tut was dagegen. Was meinen Sie, wie es dem Bürger hochkommt. Die Verkaufsstrategie dieses ANTI-SPD-Programms wurde mit "Fördern und Fordern" bei der Einführung von Harz IV begonnen und mit Liberalisierung der Finanzmärkte und des Arbeitsmarktes fortgesetzt. Bis heute traut sich die SPD nicht, diesen Fehler einzugestehen und systemisch (im kybenetischen Sinne) zu korrigieren. Die SPD versucht zwar an manchen Stellschrauben die schlimmsten Auswirkungen dieser Anti-SPD-Politik zu korrigieren, es kann den Wähler und die Mitglieder aber nicht erreichen, weil die Kontinuität der SPD-Tradition nicht wieder hergestellt ist. Und diese braucht die SPD, brauchen die Bürger, braucht Deutschland und Europa. Die moderne Gesellschaft des 21. Jahrhundert läuft geradezu wie auf eine Klippe auf einen inneren Bruch zu. Was soziale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert bedeutet, muss die SPD vorgeben. Andere für diese Frage gibt es nicht. Deshalb sieht es für die SPD im Moment so schwarz-weiß aus. Es ist aber farbig. Wir können es nicht zulassen, dass Gerechtigkeit im Rauch der ewigen Nabelschau der Partei ausgeht.
Herzliche Grüße
Waelsch
Kommentar von L. |
Und vielleicht wird dann die Partei, die ich mal wählte, als ich das erste Mal wählen dürfte, doch wieder eine ernstzunehmende Option.
Kommentar von Jan Nebendahl |
Vielen Dank für Ihre klaren Worte!
Als ehemaliges SPD Mitglied (22 Jahre lang) kann ich Ihnen grundsätzlich nur zustimmen, auch wenn wir sicherlich in Einzelpunkten anderer Meinung sind.
Besonders gut finde ich Ihren Vorschlag der Koppelung des Mindestlohn an die Lohnentwicklung. Hier würde ich mir noch viel mehr dieser Art wünschen. Nämlich die Koppelung von Lohn- und Einkommensteuer Sätzen, Kindergeld, Bafög, Existenzminimum und Steuerfreibeträgen an die Inflationsrate.
Mein Hauptproblem mit der SPD in den letzten Jahren ist tatsächlich die "Hasenfüssigkeit , und andererseits die Verlässlichkeit. Der Vertrauensbruch der SPD und ihres Kandidaten Martin Schulz ("keine Groko" , "keine Ämter") wirkt nach, und das Gefühl des Verraten werdens ist nachhaltig verankert. Auch Episoden wie das Abstimmverhalten der Bundesregierung auf europäischer Ebene zu den Themen Glyphosat oder Urheberrechtsreform stellen die Frage: Wofür brauche ich denn die SPD, wenn sie sich nicht an ihre Kernversprechen oder ihre Koalitionsverträge hält? Die Bundesregierung stimmt für den Artikel 13 im Ministerrat, aber Frau Barley als Justizministerin bedauert dann die Abstimmung?
Da kann man wirklich nur noch fragen: Wenn die Meinung der SPD so unwichtig in der Regierung ist, dass die CDSU Macht was sie will, und die SPD - sogar die federführende Ministerin - kann nichts tun.... Wofür genau brauche ich sie dann?
Kommentar von Horst Göller |
Bin voll mit deiner Analyse und den politischen Änderungsvorschlägen einverstanden!
Jetzt nicht aufgeben, sondern Ärmel hochkrempeln und sich tatkräftig für die Zukunft der SPD und der Menschen einsetzen! Kopf aus dem Sand!!
Kommentar von Anderer Max |
Das größte Problem meiner Meinung nach:
Diese elenden "Wir müssen"-Formulierungen.
Macht mal, statt ständig (öffentlich) festzustellen, dass ihr müsst.
Besprecht intern ohne Öffentlichkeit, was ihr überhaupt wollt (Tipp: Bürgergeld, Grundrente, Steuerflucht, sowas erwartet man von Sozialdemokraten) und dann kommt mit dem Konzept aus der Sonne.
Dieses ständige "wir müssen" in der Öffetnlichkeit lässt euch kopflos wirken. Als würdet ihr nicht wissen, was ihr wollt.
Kommentar von Ronny Kaufmann |
> Vorstandsgehälter und Tantiemen für Aufsichtsräte dürfen nur noch
> bis zu einer Grenze des 300-fachen vom geringsten Vollzeit-Lohn
> des Unternehmens als Betriebskosten absetzbar sein.
Unternehmen können die Vorstandsgehälter von der Steuer absetzen? Wer ist denn bitte auf diesen Irrsinn gekommen?!?
Kommentar von Ralf Stiegler |
Eine Erneuerung hat doch schon mal jemand versprochen. Wer war das noch?
Ach ja, Nahles.
Jene Person, die als Rücktrittsgrund angibt, keinen innerparteiischen Rückhalt zu haben, anstatt ihr Scheitern einzuräumen.
In so fern hat es die SPD verdientermaßen(!) schwer Absichtsbeteuerungen mit entsprechender Glaubwürdigkeit auszustatten.
In so fern - nicht rumlamentieren, sondern einfach mal machen.
Stattdessen hält die SPD zumindest momentan an der Koalition fest, statt (besser spät statt nie) konkret eine Erneuerung in der Opposition anzugehen.
Ihren programmatischen Vorschlägen stimme ich weitgehend zu. Nur, in dieser Partei werden sie verhallen, statt umgesetzt werden.
Aber da werde ich höchst gerne eines besseren belehrt. Aber durch Taten, nicht durch Worte!
Kommentar von Andreas |
Vielleicht nicht so schön formuliert wie andere Kommentare hier, aber ich kopier mal meinen Tweet vom 26.5.
"Tja... was wird sich demnächst ändern in der SPD? Aussenminister wird Umweltminister, Generalsekretär wird irgendwo Ministerpräsident, Nahles geht in die Wirtschaft, wie immer werden die Posten anders verteilt, die Nasen bleiben gleich, das nennen sie dann Neuanfang"
Partiell hat sich meine Vorhersage schon erfüllt, meine Glaskugel ist klasse. :-)
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