Der Zugang zum Wissen dieser Welt, die schnellen und die niederschwelligen Wege für Kommunikation, Vernetzung und Austausch über hierarchische und nationale Grenzen hinweg, was wir alle in unserer Hosentasche mit uns herumtragen – all das, also Internet und Digitalisierung, bringt einen grundlegenden Wandel unserer Welt mit sich, bietet eine riesige Chance für Emanzipation und Teilhabe – und birgt das Risiko einer dramatischen digitalen Spaltung, denn nur wenige können bisher kompetent und souverän damit umgehen.
Digitale Souveränität – damit meinen wir die Befähigung der Menschen, ihr Leben in einer digitalisierten Welt selbstbestimmt zu gestalten, im Arbeitsleben wie im Privatleben. Wir als Sozialdemokrat_innen wollen keine digitale Spaltung unserer Gesellschaft, wir wollen allen Menschen digitale Souveränität und damit Teilhabe ermöglichen. Unser Bildungssystem muss sich deshalb dem digitalen Wandel stellen, muss die Lebensrealität der Menschen in seine Einrichtungen hereinholen und sich mit den Bedingungen der beruflichen und gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft beschäftigen.
Was braucht es für diese digitale Souveränität? Geht es da um Informatik oder gar ums Programmieren, um Medienkompetenz, Informationen und Daten? Ja, all das sollte eine Rolle spielen, und noch viel mehr … Denn was wirklich neu ist an diesem digitalen Wandel, ist seine Stetigkeit. Was wir am meisten brauchen, sind Mut zur Veränderung und die Sicherheit und Zuversicht, sie zu bewältigen.
Mit Zugang zu einem sich immer wieder erneuernden Wissen dieser Welt kann es heute in Bildungseinrichtungen nicht mehr darum gehen, Wissen in Köpfe zu füllen. Stattdessen müssen wir die angeborene Lust aufs Lernen, Neugier und Veränderungsbereitschaft wecken und erhalten und das stetige, lebenslange Lernen zur Kompetenz aller Menschen machen.
Dazu müssen Lehrende, um den Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger zu zitieren, ein bisschen Kontrollverlust wagen: We don’t need no education - oder anders gesagt: Weniger lehren und eher Räume und Anlässe dafür bieten, dass jeder und jede Lernende seinen, ihren Zugang zur Aneignung dieser digitalen Welt findet und sich einen aktiven, kompetenten und souveränen Umgang mit Medien, Informationen und Daten aneignet. Also schon education, aber bitte open - nicht beliebig, sondern individuell, mit offenem Zugang und offenem Ausgang.
Viel mehr noch als die bloße technologische Revolution, als neue Produktionsmethoden und neue Geschäftsmodelle verändert der digitale Kulturwandel unsere Welt, wenn wir durch Offenheit, Vernetzung und Austausch zu anderen Hierarchien und stärker am Team orientierten Arbeitsformen gelangen. Ein überwiegend auf Wettbewerb und Einzelleistung ausgerichtetes System kann die Kompetenzen nicht fördern, die es für diesen Kulturwandel braucht: Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und kritisches Denken sind die 21st Century Skills, die Kompetenzen für eine moderne, offene und innovative Wirtschaft und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Lernprozesse, die individuell sind und dennoch auf Gemeinsamkeit und Austausch beruhen, Lernanlässe, die zum Auseinandersetzen oder gar zum Auseinandernehmen einladen sowie zum kreativen Gestalten, brauchen offen lizenzierte digitale Lehr- und Lernmaterialien, die frei zugänglich sind und die von Lehrenden und Lernenden bearbeitet, verändert, getauscht und weitergegeben werden dürfen - Open Educational Resources (OER) eben. Den Lehrkräften geben OER zudem Rechtssicherheit beim Einsatz und bei der Anpassung von Lehr- und Lernmaterialien an die eigenen Bedürfnisse und die der Lernenden. Durch OER werden individuelle Zugänge möglich, die auch der wichtigen Herausforderung der Inklusion in Bildungseinrichtungen Rechnung tragen.
Die vernetzte Erzeugung, Nutzung und stetige Weiterentwicklung von digitalen Lernmaterialien auf offenen Plattformen bedeuten zudem einen qualitativen Quantensprung. Und dennoch sind OER nicht automatisch eine Kampfansage an die Hersteller von Bildungsmaterialien. Die Kompetenz der Schulbuchverlage ist es, aus vorhandenen Inhalten und Bildungsstandards und -plänen gute, praxistaugliche Unterrichtskonzepte zu entwickeln – und die werden auch weiterhin gebraucht.
Nicht nur in Bildungseinrichtungen profitieren Lehrende und Lernende von Open Education und OER. Der offene und kostenfreie Zugang zu Lernangeboten wie MOOCs (Massive Open Online Courses) und die freie Verfügbarkeit von OER ermöglichen es auch Menschen, die wegen ihrer familiären Situation, eingeschränkter Mobilität oder anderer Gründe keine Bildungseinrichtungen besuchen können, Neues zu lernen. Das gilt für akademische und berufliche Bildungsangebote ebenso wie für Angebote, die privatem Bedarf und Interesse folgen. Dieser ungehinderte Zugang zu Bildung und Wissen ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für das Bildungssystem.
Im Frühjahr kam eine gemeinsame Anhörung der Kultusministerkonferenz mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zu der Einschätzung, Open Educational Resources könnten sich insgesamt positiv auf die Qualität von Lernprozessen und Lernmaterialien auswirken. Eine weitere Förderung der Entwicklung, Auffindbarkeit und Verfügbarkeit von OER wird im Abschlusspapier ausdrücklich befürwortet.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat es erreicht, dass in den Haushalt des Bildungsministeriums für 2015 erstmals ein Betrag von 2 Millionen Euro zur Förderung von OER eingestellt wurde. Ich gehe davon aus, dass auch die aus diesen Mitteln geförderten Mapping-Projekte verdeutlichen, dass Open Education und OER ein Gewinn für Lehrende und Lernende, für das Bildungssystem und für die Gesellschaft insgesamt sind. Ich gehe auch davon aus, dass die für Anfang 2016 erwarteten Abschlussberichte weiteren Förderbedarf ergeben. Deshalb will ich mich gern dafür einsetzen, dass Bund und Länder ihre Förderung für OER deutlich ausbauen. Denn auch wenn OER für Lehrende und Lernende offen und kostenfrei zugänglich sein sollen, so sind sie doch nicht kostenlos zu haben – und, wie ich hoffentlich deutlich machen konnte, sind sie schon gar nicht umsonst.
Weitere Impuls-Beiträge zum Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung am 25.11.2015 finden Sie in einer pdf-Dokumentation hier.
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