In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft. Für mich sind sie Antriebsfeder und Maßstab für mein politisches Handeln. Wer gegen die Volkszählung auf die Straße gegangen ist und sich für informationelle Selbstbestimmung einsetzt, kann sich eine anlasslose und flächendeckende Speicherung persönlicher Daten auf Vorrat nicht gefallen lassen. Daher habe ich dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung heute nicht zugestimmt.
Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/ CSU steht zur Vorratsdatenspeicherung: „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren.“
Aber nachdem der Europäische Gerichtshof am 8. April 2014 die Richtlinie als nicht mit den Grundwerten der Europäischen Union vereinbar verworfen hat, ist die Grundlage für diesen Punkt des Vertrags entfallen. Die Richter begründen ihre Entscheidung unter anderem damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“ enthalte.
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht 2010 geurteilt hat, dass eine Vorratsdatenspeicherung in engen Grenzen verfassungsrechtlich zulässig sein kann, sind wir nicht verpflichtet, eine solche einzuführen. Die vom Gericht festgestellten Kritikpunkte sind weiterhin gültig. So hat das höchste deutsche Gericht zur Speicherung von Telefonie-Daten zu Recht festgestellt, dass sich aus diesen Daten „tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen“ lassen und „eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers ermöglichen“ könne. Zu Mobilfunk-Standortdaten und deren Auswertung schreibt es weiter:
„Eine Speicherung, die solche Verwendungen grundsätzlich ermöglicht und in bestimmten Fällen ermöglichen soll, begründet einen schwerwiegenden Eingriff. Von Gewicht ist hierbei auch, dass unabhängig von einer wie auch immer geregelten Ausgestaltung der Datenverwendung das Risiko von Bürgern erheblich steigt, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst Anlass dazu gegeben zu haben. Es reicht etwa aus, zu einem ungünstigen Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle gewesen oder von einer bestimmten Person kontaktiert worden zu sein, um in weitem Umfang Ermittlungen ausgesetzt zu werden und unter Erklärungsdruck zu geraten.“
Vor dem Hintergrund der 2010 noch gültigen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Datenspeicherung gerade noch möglich sei, aber hohe Hürden bei Speicherung und Abruf verlangt. Der Gesetzesentwurf von Heiko Maas beachtet diese Vorgaben. In einer Gesamtrechnung zur Überwachung, die das Bundesverfassungsgericht für notwendig erklärt, muss man insbesondere seit den Enthüllungen von Edward Snowden nochmals neu bewerten und feststellen, welche Speicherung denn überhaupt zwingend nötig ist, welche alternativen Maßnahmen möglich sind und wie sich eine fehlende Speicherung in der Praxis auswirkt.
All dies konnten uns die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung bisher nicht beantworten. Stattdessen hören wir die hohle Phrase, die nun einzuführende Vorratsdatenspeicherung stelle einen „Quantensprung für die innere Sicherheit“ dar. Die Vorratsdatenspeicherung bringt aber für die innere Sicherheit überhaupt keinen Fortschritt, sie kann keine Verbrechen verhindern und hat nur mäßige Auswirkungen auf die Qualität der Strafverfolgung. Die Ermittlungsbehörden brauchen nicht mehr Daten, sie brauchen eine bessere personelle und technische Ausstattung, sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch bei den spezialisierten Ermittlern, die solche Daten überhaupt auswerten können.
Bei aller Diskussion um eine staatliche Verpflichtung zur Speicherung dürfen wir eines nicht vergessen: Die Telekommunikation-Anbieter speichern viele Daten unserer Kommunikation über unterschiedlich lange Zeiträume – auch Standortdaten und Informationen über geführte Telefonate. Und auf diese Daten greifen Ermittlungsbehörden heute schon zu, ohne dass es Regeln zur sicheren Aufbewahrung oder die Löschung dieser persönlichen Daten nach einer Speicherfrist gäbe. Es muss dringend eine Beschränkung dieser Speicherung geben, denn für betroffene Bürger ist es egal, ob ihr Verhalten aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung oder „freiwillig“ durch die Telekommunikationsunternehmen aufgezeichnet wird.
Ich lehne eine anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ab, weil sie einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger darstellt, weil sie negative Wirkungen auf das persönliche Verhalten aller und auf die Freiheit der Gesellschaft entwickeln kann und weil ihre positive Wirkung auf die innere Sicherheit bis heute nicht nachgewiesen werden konnte.
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